Bericht Franz Westner, Präsident des Freien Deutschen Autorenverbands.
Literatur, der Elfenbeinturm von Wort und Geist? Diese Frage stellte der Freie Deutsche Autorenverband mit seiner Bundestagung in Chemnitz.
Allein die Wahl der Orte – Industriemuseum, Universitätsbibliothek, Stefan-Heym-Forum – zeigte bereits, dass Literatur immer dort am besten aufgehoben ist, wo alltägliche Dinge sich mit Geschichte und Gesellschaft vermischen, wo Menschen zusammenkommen und frei ihre Meinungen austauschen.
Dies, so FDA-Präsident Franz Westner in seiner Eröffnungsrede, ist gelebte Demokratie. Eine freie Gesellschaft braucht die – respektvolle – Kontroverse, damit Transformationen bewältigt werden. Auch Literatur trägt hierzu bei. An dieser Stelle sei dem Landesverband Sachsen, im Besonderen aber den beiden Impulsgebern und Gestalterinnen der Bundestagung, der Landesverbandsvorsitzenden Dr. Anne Meinecke sowie der FDA-Pressebeauftragten Silke Weizel gedankt, ohne deren unermüdlichen Einsatz und deren umfassendes Netzwerk diese Tagung auf diesem Niveau und in dieser Vielschichtigkeit nicht möglich gewesen wäre.
Einen so weiten Bogen zu spannen von Literatur, Kultur zu Wissenschaft und Wirtschaft braucht Raum – und viele Akteure, die diesen Raum ermöglichten. Der Freie Deutsche Autorenverband dankt daher allen Rednerinnen und Rednern, welche die Bundestagung auf vielfältige Weise unterstützten und mit ihren Grußworten eröffneten: Dagmar Ruscheinsky, Bürgermeisterin für Bildung, Soziales, Jugend, Kultur und Sport; Jürgen Kabus, Museumsdirektor Industriemuseum Chemnitz; Stefan Schmidtke, Geschäftsführer Kulturhauptstadt GmbH; Prof. Dr. Ulrike Brummert, Mitglied im Kulturbeirat für Bibliothek und Literatur; das Grußwort von Prof. Dr. Naumann, Schirmherr, Gesellschafter NILES-SIMMONS-HEGENSCHEIDT verlas Silke Weizel, FDA Sachsen.
Nicht nur angesichts der zahlreichen Grußworte, sondern auch bei der Gastrede von Schirmherrin Prof. Dr. rer. pol. Julia Krause wurde die große Spannweite der Bundestagung sichtbar. Können Wissenschaft und Wirtschaft eine Einheit bilden mit Kultur und Literatur? Oder sich gegenseitig Impulse geben? Dazu, so Prof. Dr. Julia Krause, braucht es eine ganzheitliche Sichtweise, gepaart mit dem Mut und der Aufforderung, zu tun, was wichtig und verbindend ist. Die eigene Disziplin, das eigene Genre, die eigene Profession ist nicht losgelöst, sondern Teil dieses großen Ganzen.
Und sie ist Teil eines gemeinsamen Prozesses, wie Stadtplaner Kay Kaden anschaulich in seinem Vortrag über die Entwicklung der Industriestadt Chemnitz darstellte. Wo die Menschen auf der einen Seite mit der Wende Freiheit und Demokratie gewannen, verloren sie auf der anderen Seite in vielen Bereichen Beruf und Existenz. Wie mutig und in enger Kommunikation mit den Bürgerinnen und Bürgern die Industriestadt Chemnitz sich diesem Wandel stellte, verdient Bewunderung.
Den Wandel der Gesellschaft stellte als Abschluss der Auftaktveranstaltung im Industriemuseum die in Karl-Marx-Stadt geborene Schriftstellerin Patricia Holland Moritz vor. Ihre beiden Romane „Kaßbergen“ und „Drei Sommer lang Paris“ griffen das Leben der jungen (Kaßbergen) und erwachsenen Ulrike (Drei Sommer lang Paris) auf und beschrieben eine „späte poetische Gerechtigkeit für ein weiteres Kapitel vergessener deutscher Geschichte“ (taz).
Der Freie Deutsche Autorenverband vergaß bei dieser Tagung nicht, dass über viele Jahrzehnte „Frauen in der Literatur“ um den Platz ringen mussten, der ihnen aufgrund ihrer Verdienste zustand. Dass dies glücklicherweise im Wandel ist, verdanken wir Persönlichkeiten u. a. wie Prof. Dr. Ilse Nagelschmidt, Ehrenpräsidentin des FDA, aber auch Organisationen wie dem Frauenzentrum Lila Villa, die das Werk der Chemnitzer Schriftstellerin Irmtraud Morgner sichtbar macht.
Längst sind dank dieser Protektion Frauen in der Riege verdienter Preisträgerinnen angekommen – nicht, weil sie Frauen sind, sondern, weil sie großartige Literatinnen sind. Der beste Beweis hierfür war die wunderbare Lesung der Schriftstellerin Angela Krauß, Bachmannpreisträgerin 1988 und Trägerin des Sächsischen Literaturpreises 2024. Sie führte mit ihrer Lesung den Gästen vor Augen, dass die grundsätzlichen Fragen unseres Daseins und die Realität des Seins am schönsten erzählt werden können, wenn man sie in die Räume der Poesie einbettet.
Räume für Austausch und ein Kennenlernen von Chemnitz erschlossen am Nachmittag Edeltraud Höfer bei der „Literarischen Stadtführung“, Direktorin Angela Malz bei der Führung durch die neu sanierte historische Universitätsbibliothek sowie Silke Weizel bei der Führung in der Kunstsammlung Chemnitz.
Ganzheitlich denken, über die eigenen Grenzen hinausdenken, die Transformation von Gesellschaft, Kultur, Wissenschaft und Wirtschaft annehmen, das gilt selbstverständlich auch für die Literatur. Ist Poetry nur Jugendliteratur oder doch Weltliteratur? Die spannende Diskussion führte FDA-Mitglied Elisa Greta Adam, in Poetry-Kreisen besser bekannt als „Einfach Else“. Ob Poetry Slam in seiner Form bestehen bleibt, ob er in die Form eines Spoken Word übergeht, oder eine ganz andere neue Form entwickelt … die Frage konnte selbstredend nicht abschließend geklärt werden, aber die Diskussion mit Gerrard Schueft, Annie Zach, Odjillo und Prof. Dr. Bernadette Malinowski zeigte, dass Literatur so transformativ und lebendig ist und das Wort auch in Zukunft seine (literarische) Form finden wird, mit dem es die Menschen erreicht.
Fest im Gefüge des Freien Deutschen Autorenverbands war auch bei dieser Bundestagung der Blick über die Grenzen Deutschlands hinaus. Seit vielen Jahren arbeitet der Landesverband Sachsen des FDA mit Autorinnen und Autoren Tschechiens zusammen. In einer gemeinsamen Lesung präsentierten sie zweisprachig und durchwegs unterhaltsam, die neue Deutsch-Tschechische Anthologie „Wortfluss – Brücken bauen entlang der Elbe“.
Literatur im Spiegel von Kultur, Wissenschaft und Wirtschaft – oder doch Kultur, Wissenschaft und Wirtschaft im Spiegel der Literatur? Die Autorinnen und Autoren des Freien Deutschen Autorenverbands ließen sich jedenfalls bemerkenswerte Texte zu diesem weiten Thema einfallen und machten in ihrer Mitgliederlesung deutlich, dass wir im Verband ein solches Thema im Sinne von Prof. Dr. Julia Krause ganzheitlich, dabei mit Tiefgang, aber auch mit Augenzwinkern zu bewältigen wissen.
Ein Blick aus dem Fenster zu den Anfängen des FDA in Sachsen, einer intensiv-lösungsorientierten Beziehung zu einem Auto, dem Streit, den ein Motivationsplakat auslösen kann, dem Statement über Gegnerschaft und Feindschaft, und dass man Feindschaft nicht mit Toleranz begegnen kann, dass Schreiben zwar schön ist, auch wenn man nicht davon leben muss. Aber dass es schöner ist, wenn doch. Und dass Karrieren als Schriftsteller manchmal auch an so einfachen Dingen scheitern wie einer Stanzmaschine. Ist auch Medizin Kunst? Und umgekehrt Kunst und Literatur Medizin? Zweifellos kann Literatur auch therapeutische Wirkung haben. Was übermütiger Wandel bewirken kann, erlebten wir in der Geschichte „Der Straußmörder“ und dem 5/8tel-Takt der schönen blauen Donau. Ebenso, dass man manchmal Glück braucht, wenn mit bei der Transformation von Musik Bach hört. Die Leichtigkeit der Elemente, die Metaphysik von Rot – hier passen Naturwissenschaft und Poesie perfekt zusammen. Blicken wir also in den Spiegel – oder besser – in zwei Spiegeln zu Literatur, Wissenschaft und Wirtschaft, dann können wir die Welt so sehen, wie wir sie verändern / transfomieren. Das geht auch mit viel Rhythmus und Spoken Word, oder mit einem Kurzgedicht über die Heimat der Literatur, das alles zusammenfasst.
Hier gilt der Dank allen unseren Autorinnen und Autoren für ihren Einfallsreichtum: Horst Seidel, Marlies Strübbe-Tewes, Bernhard Conrad, Enno-Jörg Wetzel, Hans Bäck, Ulrike Bajohr, Dagmar Schenda, Gabriele Barbara Hartl, Karl-Heinz Nebel, Sabine Groh, Silke Weizel, Ligitta Nickel, Einfach Else, Josef Grasmugg.
Den vielleicht größten Sohn der Kulturhauptstadt Chemnitz stellten uns am letzten Tag die Schülerinnen und Schüler des Chemnitzer Regenbogen-Gymnasiums mit einer szenischen Lesung aus Stefan Heyms „Märchen für kluge Kinder“ sowie Beate Kunath mit ihrem Film „Abschied und Ankunft“, einer Würdigung des in Chemnitz unter dem Namen Helmut Flieg geborenen Schriftstellers, vor. Hannelore Schmidt-Hoffmann, Vorsitzende des FDA Landesverbands Brandenburg, erzählte im Gespräch anschaulich ihre ersten Begegnungen mit dem großen Schriftsteller, der immer unangepasst seine Meinung vertrat.
Seine Meinung vertreten, dabei respektvoll zu bleiben, klug und vorausschauend, die Transformationen von Gesellschaft, Kultur, Wissenschaft und Wirtschaft mit Ruhe und Bedacht analysieren, dabei mutig zu sein und sich und seinen Prinzipien treu – diese Botschaft strahlte die Bundestagung des Freien Deutschen Autorenverbands über alle Tage aus. Und vielleicht ist dies in so unruhigen Zeiten wie gegenwärtig ein Trost – die gleichen Mittel brauchte es auch in früheren Zeiten.
Franz Westner, Präsident des Freien Deutschen Autorenverbands

